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Cannabis bei ADHS

Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) ist eine neurobiologische Erkrankung, bei der es zu einer zum Teil veränderten Informationsübertragung zwischen Nervenzellen im Gehirn kommt. Bemerkbar macht sich ADHS durch Störungen in der Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Galt ADHS lange als Kinderkrankheit, weiß man heute, dass ADHS nicht im Erwachsenenalter so einfach verschwindet. Im Gegenteil, die Belastung kann enorm sein. Kann, denn manche (Kinder wie auch Erwachsene) leiden kaum bis gar nicht unter der Symptomatik, andere wiederum sehr.

Als Ursache gilt vor allem Vererbung. Aber auch äußere Einflüsse wie Frühgeburt, Geburtskomplikationen oder Drogen- und Nikotinkonsum während der Schwangerschaft spielen eine Rolle. Dazu können soziale Aspekte wie erhöhter Medienkonsum oder zu wenig Bewegung den ADHS-Verlauf negativ beeinflussen.

Dank Untersuchungen mit Kernspintomographie (MRT) und Computertomographie (CT) bei ADHS-Patient:innen lässt sich sagen, dass vor allem Gehirnregionen betroffen sind, die für die Verhaltenssteuerung und die Aufmerksamkeit wichtig sind.

Die Balance der Botenstoffe im Gehirn (Neurotransmitter) ist verändert. Hier spielen speziell Dopamin und Noradrenalin eine Rolle, denn sie stehen an den Stellen, an denen sie gebraucht werden, nicht ausreichend zur Verfügung. Bei ADHS-Patient:innen wird Dopamin im Gehirn schneller abgebaut. Die Folge: Die Übertragung von Signalen wird gestört und die Interaktion von Aufmerksamkeits- und Motivationssystem ist beeinträchtigt.

In seiner Forschungsarbeit von 2018 schreibt Aleksi Hupli von der Universität in Tampere/Finland: Seit kurzer Zeit wird dem Endocannabinoidsystem (ECS) mehr Interesse geschenkt, wenn es um ADHS geht. Man vermutet, dass bei Kindern mit ADHS der Anandamid-Abbau im Vergleich zu gesunden Personen beeinträchtigt ist. Zudem wurde in genetischen Studien ein Zusammenhang zwischen dem Cannabinoidrezeptor-Gen und ADHS entdeckt. Allerdings muss man dazu erwähnen, dass dieser Zusammenhang in weiteren Studien in der klinischen Praxis untersucht werden muss.

2008 gab es in Deutschland einen detaillierten klinischen Fallbericht von Forschern der Universität Heidelberg. Beschrieben wurde der medizinische Nutzen von Δ9-Tetrahydrocannabinol (Δ9-THC) für einen erwachsenen männlichen ADHS-Patienten. Dieser wurde vorher ohne Erfolg mit Methylphenidat (Ritalin®) behandelt.

Weiterhin zitiert Hupli die Studie „Subtypes of attention deficit-hyperactivity disorder (ADHD) and cannabis use“ aus dem Jahr 2013 von Loflin et al. Dort wird die Hypothese aufgestellt, dass “Cannabis eine niedrige relative und absolute frontale Alpha-Leistung kompensieren könnte, die möglicherweise hyperaktiven Symptomen zugrunde liegt." Der therapeutische Einsatz von Cannabinoiden bei hyperaktiven und impulsiven Subtypen könnte somit wirksamer sein als bei der unaufmerksamen ADHS-Form.

2015 wurde ebenfalls in Deutschland eine größere klinische Fallserie von Grotenhermen und Milz mit 30 behandlungsresistenten Erwachsenen mit ADHS durchgeführt. Es wurde festgestellt, dass medizinisches Cannabis bei einigen Symptomen möglicherweise hilfreich war – inklusive verbesserter Konzentration, besserem Schlaf und geringerer Impulsivität. 73% der Studienteilnehmer:innen zogen es nach der Studie vor, nur noch Cannabinoide einzusetzen – 27% wollten weiterhin Cannabinoide mit anderen stimulierenden Medikamenten kombinieren. Laut dieser Studie berichteten Patient:innen, dass die meisten Ärzte bzw. Ärztinnen ihre therapeutischen Erfahrungen mit Cannabis nicht ernst nahmen und sie wegen großer Vorurteile nicht zugehört haben. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass für erwachsene ADHS-Patient:innen, die von der Standardmedikation nicht profitieren bzw. die unter Nebenwirkungen leiden, Cannabis ein wirksame und gut verträgliche Alternative sein könnte.

Aleksi Hupli bemerkt, dass weitere Studien erforderlich sind, um Veränderungen in der Lebensqualität von ADHS-Patient:innen, die eine Cannabis Therapie machen, zu quantifizieren. Auch bleibt es eine offene Forschungsfrage, welche Verabreichungs- formen und Dosierungen am effizientesten und welche Art von (Phyto-) Cannabinoid- und Terpenoid-Kombinationen für diverse ADHS-Patientenprofile wirksam sind.

Ganz aktuell gibt es eine neue Studie aus 2022. Ein Forscherteam von den Universitäten Manitoba und Saskatchewan/Kanada hat drei Patientenfälle zu Cannabis als therapeutische Option beschrieben, ausgewertet und der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Berichte des Teams rund um Dr. Holly Mansell basieren auf den Patientenauskünften, die über ihre Krankenakten und psychiatrischen Tests überprüft wurden.

Alle subjektiven Erfahrungen und emotionalen Zustände der Patient:innen konnten wohl auch mit etablierten klinischen Tests belegt werden – so berichten die Forscher:innen. Um subjektive Aussagen zu quantifizieren und einzuordnen, gibt es in der Psychiatrie einiges an Skalen und Scores. So konnte bei den 3 Studienteilnehmer:innen in Kanada nach der Einnahme von medizinischem Cannabis eine Verbesserung in den Testungen für Depressionen, Angstzustände und Emotionsregulation nachgewiesen werden. Die Werte lagen bei 30-81% bzw. bis 33% bzw. zwischen 22-78%. Auch die sogenannte SNAP-Skala (Soziale Interaktionen und Persönlichkeitsentwicklung in der Adoleszenz) konnte bei der bei ADHS besonders wichtigen Messung der Unaufmerksamkeit eine Verbesserung von 7-30% zeigen.

Ein wichtiger Hinweis des Forschungsteams: Das medizinische Cannabis wurde in allen 3 Fällen als zusätzliches Medikament zu einem etablierten Behandlungsschema gegeben. Das ist sehr wichtig zu wissen, da das medizinische Cannabis nicht den ganzen Tag über wirken konnte. Der Grund: Die Plasmakonzentrationen der Cannabinoide bei den Patient:innen im Talspiegel (dem niedrigsten Tageswert) waren häufig nicht nachweisbar. In der Studie wurde jeweils das individuell passende Cannabisprodukt in Kooperation mit einem Psychiater ausgesucht.

Trotz noch zwei weiterer Fallstudien zur Behandlung von ADHS mit Cannabis kann von diesen nicht auf alle ADHS-Patient:innen geschlossen werden. Es wurden zwar Verbesserungen in ADHS-spezifischen Leistungstests und eine Abnahme der typischen Symptome gezeigt, doch aufgrund der begrenzten Zahl und der Tatsache, dass randomisierte Studien fehlen, sind diese in der Aussage nicht allgemeingültig.

Somit bleibt medizinisches Cannabis bei ADHS erstmal ein individueller Therapieansatz, der bei mangelnder Symptomreduktion oder wenn etablierte Therapieschemata nicht vertragen werden, gemeinsam mit einer/m fachkundigen Arzt/Ärztin ausprobiert werden kann.

Quellen 

https://www.leafly.de/glossar/adhs-ads/ https://www.karger.com/Article/FullText/521370 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7000160/ Hupli AMM. Medical cannabis for adult attention deficit hyperactivity disorder: sociological patient case report of cannabinoid therapeutics in Finland. Med Cannabis Cannabinoids. 2019;1(2):112–8. https://www.adhs-ratgeber.com/was-ist-adhs.html Strohbeck-Kuehner P, Skopp G, Mattern R. Cannabis Improves Symptoms of ADHD. Cannabinoids. 2008;3(1):1–3 https://www.cannabisclinicians.org/2015/01/01/treating-adult-adhd-with-cannabis/ Milz, E., & Grotenhermen, F. (2015). Successful authorised therapy of treatment resistant adult ADHD with Cannabis: experience from a medical practice with 30 patients. Retrieved from http://www.drmilz.de/wp-content/uploads/Poster-CC-2015.pdf https://www.cannabis-aerzte.de/med-cannabis-adhs/ Mansell, H., Quinn, D., Kelly, L. E., & Alcorn, J. (2022). Cannabis for the Treatment of Attention Deficit Hyperactivity Disorder: A Report of 3 Cases. In Medical Cannabis and Cannabinoids (pp. 1–6). S. Karger AG.